Artikel zu Vortrag und Talk (von mir moderiert) auf der Fashion Fair Bad Nauheim:
Vortrag zu Nachhaltigkeit in Unternehmen:
Kommentar: Wirtschaft und Verantwortung
Sehr viele Menschen, vor allem in Wirtschaft und Handel, verhalten sich wie jemand, dessen Körper vom Krebs zerfressen ist, der aber denkt, wenn er immer mehr neutralisierend grünes Makeup auflege, sehe doch alles nicht alarmierend rot, sondern hübsch rosig aus und die Party kann weitergehen.
Nachhaltigkeit aber ist kein kaschierend-trendiges „Add-On“-Verkaufsargument und auch keine Frage der moralischen Einstellung. Nachhaltigkeit ist eine Überlebensnotwendigkeit.
Und das nicht in einzelmonetärer, sondern in globalphysischer Hinsicht.
Die Wirtschaft suggeriert, dass sie zugunsten des Kunden arbeite, der immer mehr Trends, immer mehr Konsum wolle, gar verlange. Sie sei also lediglich die gute Fee, die die bewussten und unbewussten Wünsche jedes Kunden befriedige.
Hat nicht aber die Wirtschaft durch ausgeklügelte Licht-, Vertriebs-, Kommunikations-, Kauf-, Werbe-, Wegeleitungs-, Platzierungs- und was weiß ich was-„Strategien“ die Menschen zu Kunden und Dauerkonsumenten erzogen?
Mit Ubiquität und Obsoleszenz und dem rasanten Bezahlvorgang, der keinen vernunftgesteuerten „Will ich oder brauche ich?“-Gedanken mehr zulässt? Und sieht nicht die Wirtschaft dann die unbewusst vorhandenen Rudimente der steinzeitlich angelegten Prägungen, die den Menschen doch zu einem selbstschädigend sattbequemen „Will ich“ bewegen, als ausreichende Rechtfertigung für Geschäftemacherei an?
Will der Mensch ehrlich intrinsisch motiviert so viele Chips essen, dass er gesundheitsgefährdend übergewichtig ist?
Will er wirklich das hundertste Shirt bezahlen, das ungetragen in einer Schrankecke verschwindet?
Braucht er ernsthaft den blinkenden 50 Cent Plastik-Trash oder den SUV in der Stadt?
Ist der Mensch wirklich gleich dem Imagewert der von ihm getragenen Marken?
Sind das nicht vielmehr „Brot und Spiele“ zum Einlullen der Massen, an denen sich einige wenige bereichern? Wieso aber halten die Massen selbst so hartnäckig daran fest und Forderungen nach Verzicht verhallen im Nichts? Vielleicht weil der als Kind gelernte Glaubenssatz, „ich bin nur dann etwas wert, wenn ich etwas leiste oder habe“, Basis und Getriebeöl des Systems ist.
Ist nicht das religionshaft suggerierte „durch Konsum selig dazugehören“ zudem auch ein Nährboden für jede Art von politischem Extremismus? Denn wenn Erfolgs- und Konsum-Selbstwertbalsam fehlen, bleibt irgendwann auch die Toleranz auf der Strecke. Wenn die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft und sich immer mehr nicht dazugehörig fühlen. Vielleicht auch weil sie spüren, wie sie an der Nase herumgeführt werden, wenn sich wenige durch ihren Zinseszins sogar am eigenen Reichtum bereichern. Und weil dann das machtlos-elende Gefühl, „denen da oben“ unterlegen zu sein, kompensiert wird, indem man einen „Schwächeren“ und „Anderen“ erniedrigt.
Doch die Schraube lässt sich nicht unendlich weiterdrehen. Vielleicht lässt sich die aktuelle Situation mit der Titanic vergleichen: Wir haben uns erwartungsvoll und dynamisch vom sicheren Grund wegbewegt, sind nun aber, vorerst nur für wenige spürbar, an unsere Grenze gestoßen. Diejenigen, die die Einsicht und den Mut haben, sich von der betäubend glänzenden Systemüberlegenheitsillusion zu verabschieden und in eine kleinere Alternative umzusteigen, nutzen und geben aktiv die Chance zu überleben. Natürlich nur, insofern die anderen nicht so lange die Rettungsboote blockieren, bis das Schiff gesunken ist.
Die Illusion vom Immer-Mehr-System ist nicht zu retten. Wir brauchen keinen ständigen Aufschwung und kein permanentes Wachstum. Es gibt bereits mehr als genug Geld und Güter, sie sind nur vollkommen falsch verteilt. Ja, jeder auf der ganzen Welt soll von den Entwicklungen profitieren. Doch was bedeutet es eigentlich wirklich, wenn es „der künftigen Generation bessergehen soll“? Dass sie in Gesundheit, Frieden, Freiheit und Sicherheit leben, dass alle nach einer unbeschwerten Kindheit und ausgestattet mit guter (Geistes- und Herzens-)Bildung einen Beruf wählen können, der sie glücklich macht und dass sie daneben viel freie Zeit haben, in der sie sich entspannen oder Dinge tun, die ihre Seele erfüllen. Ressourcen wie Frieden, Bildung, Freiheit und Glück sind unendlich und unerschöpflich.
Das System „Natur“ macht uns vor, wie jedes Leben dauerhaft einen fairen und passenden Platz finden kann. Nie übersättigt auf Kosten anderer, doch immer ausreichend und hochwertig versorgt. Friedlich, frei und meist sogar auch gut gelaunt.
Ann Helena Neudek, 18.10.2019